Mein 11. September 2006, fünf Jahre nach dem "zweiten Reichstagsbrand", der "Machtergreifung" der Neocon-Weltverschwörung: ein Zeuge wird zum Angeklagten, ein schlechter Redner bekommt den meisten Applaus, eine USA-Fahne wird verbrannt.
Szene eins: Vor dem Amtsgericht Bernau wird wegen Volksverhetzung gegen vier Angehörige der "Reichsbürger-Bewegung" verhandelt, verschwörungsgläubige Antisemiten, die ihren Mitmenschen damit drohen, was ihnen angeblich blüht, wenn die nationale Revolution das Deutsche Reich wiederherstellt. Sie bestätigen zwei meiner Thesen. Zum einen die von der Alltagsverschränkung des Verschwörungsdenkens - die konkrete Verschwörung der klassischen Konspirationisten weicht einem allgemeinen Verschwörungsverdacht gegen alles noch so Banale. Dem als Zeugen aussagenden Polizisten versuchen die "Reichsbürger" zu entlocken, daß ihnen von langer Hand eine Falle gestellt worden sei, daß er fürs "Ministerium" gearbeitet habe und daß dieses Informationen an die "staatliche Schlägerbereitschaft, genannt Antifa" weitergeben würde.
Zum zweiten liefern sie ein anschauliches Beispiel dafür, wie die Anmaßung einer amtlichen sozialen Rolle andere Menschen dazu bringt, diese Travestie anzuerkennen. Die "Reichsbürger" nehmen den Zeugen so lange und so intensiv unter Beschuß (hauptsächlich über diverse als "Vorhalte" verpackte Unterstellungen), bis die offenbar überforderte Richterin ihn wiederholt als Angeklagten anspricht. Völlig unverständlich, warum in aller Ausführlichkeit "Fragen" erörtert werden können wie "Waren Sie mal in Auschwitz?
Es ist Pflicht für jeden Deutschen, nach Auschwitz zu fahren. Wenn Sie in Auschwitz gewesen wären, hätten Sie dann immer noch die Verteilung unserer Flugschriften unterbunden?" Der Zeuge selbst, obgleich er die Situation nicht unbedingt ernst zu nehmen scheint, läßt sich auf abwegigste Fragen ein, wie etwa die nach seiner Definition von "rechts", und kommt mehrmals ins Stottern. Die "Reichsbürger" zeigen sich erschüttert, daß offenbar nicht alle am Prozeß Beteiligten ihre gehaltvollen Texte gelesen bzw. den Inhalt nach zwei Jahren nicht mehr parat haben.
Szene zwei: In der Urania ist der "Konspirologe" Mathias Bröckers als Mit-Autor seines zweiten, weniger erfolgreichen 9/11-Buches zum
Expertengespräch über offene Fragen zu den Anschlägen geladen. Hier zeigt sich, daß Travestie nicht immer funktioniert, daß sie aber auch nicht unbedingt funktionieren muß. Obgleich Bröckers sich Mühe gibt, die meisten seiner Redebeiträge mit der Formel "Da gebe ich Ihnen recht, aber" zu beginnen und obwohl er sich in seinen besten Zwirn (bzw. Hanf) geworfen hat, machten zwei der drei Mitdiskutanten unmißverständlich klar, daß sie nicht jede "verrückte These" dikutieren würden (
Karsten Voigt) und zu einer Veranstaltung "fünf Jahre Schweinestaat Amerika" nicht erschienen wären (
Yassin Musharbash).
Doch das spielt insofern keine Rolle, als daß Bröckers trotz seiner recht launigen und rhetorisch schwachen Aussagen als einziger für beinahe jeden Beitrag Szenenapplaus bekommt. Er ist Sprecher der Mehrheit im nicht wirklich vollen Saal und die gefühlte "Mißachtung" durch die "richtigen Experten" gehört für seine Fans zur Inszenierung dazu. Sie äußern Unmut und Empörung, wann immer Voigt, der sich als Gegner des Irak-Kriegs und der Bush-Administration präsentiert, von der Notwendigkeit amerikanischer Truppenpräsenz in Afghanistan und auch in Deutschland spricht; wenn er die Kontingenz der Szenarien Afghanistan, Irak und Iran betont; wenn er darauf besteht, daß es doch trotz des
Celler Lochs eine RAF gegeben habe und trotz aller möglicherweise ungeklärten Einzelheiten eine al-Qaida. Auch Musharbash wird beschimpft, als er etwa auf die Möglichkeit hinweist, daß jemand Ereignisse ausnutzen kann, die er nicht verursacht hat.
Am meisten flippen die Zuschauer aus, als Voigt die heutigen 9/11-Verschwörungstheorien mit Aussagen vergleicht, die Hitler eine Unkenntnis über den Holocaust zuschreiben, weil nicht alle Details der Befehlskette rekonstruiert werden konnten. Offenbar scheinen an dieser Stelle zahlreiche Zuschauer intellektuell überfordert, da sie ihren Rufen nach zu urteilen glauben, Voigt würde behaupten, Hitler habe vom Holocaust nichts gewußt.
Bröckers hingegen bekommt Applaus für Sätze wie "Bush kann ohne Bin Laden nicht leben", "Wir brauchen eine Untersuchungskommission wie das Russell-Tribunal zu Zeiten des Vietnam-Kriegs" und auch für seine einzige unverhüllt konspirationistische These, daß Diplomatie mit dem Iran nichts mehr brächte,
weil die Kriege von den Neocons schon geplant und beschlossen seien.
In der Publikumsrunde kommt es zu keiner richtigen Diskussion, da von sämtlichen Rednern nacheinander verschiedene wohlbekannte Verschwörungsthesen vorgetragen wurden (wo waren die Abfangjäger, Neocons haben aus der permanenten Revolution den permanenten Krieg gemacht, Operation Northwood "liegt weit zurück, aber ist Geschichte"), in einem Fall unter ausdrücklicher Berufung auf
Lyndon LaRouche, dessen Anhänger nach der Veranstaltung in großer Zahl ihr Wahlkampfmaterial unter Leute zu bringen versuchten.
Als ein Frank Hahn in seinem Sermon über die instabile US-Wirtschaft bezeichnenderweise orakelt, "wir (!) stehen dort (!) vor der Immobilienblase und der Autokrise" und müßten uns deshalb auf Roosevelt und die Zeit des Wiederaufbaus (!) zurückbesinnen, erklärt Voigt charmanterweise, daß es in Deutschland keine Immobilienblase gäbe (in Spanien schon) und daß die Neocons nicht alle früher Trotzkisten gewesen seien, einige von ihren "waren auch mal Jusos."
Dritte Szene:
Die Partei und die
Pogopartei sind zwei sehr verschiedene Dinge. Ruft erstere zu einem Zeichen für den Terror auf und erklärt einen längst fälligen großen Terroranschlag in Berlin zur größten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme neben dem ebenfalls geplanten Aufbau einer neuen und verbesserten Mauer, dann laufen zum angekündigten Spektakel die kommunalpolitisch assoziierten PPler mit Grunzchören wie
"New York, London, Falludscha - Terrorismus wunderbar!", "Zwei Türme, zwei Flieger, die sah man nie wieder" oder "Bomben rein, Alltag raus!"
Während es der Partei in ihrer Wahlkampf-Veranstaltung auf der Oberbaumbrücke nur zweitrangig um die Idee eines inszenierten Terroranschlags zu gehen scheint und vielmehr um absurde und zumeist bemühte Scherze über den Politikbetrieb, nutzen die Pogo-Parteisoldaten die Gelegenheit, eine USA-Fahne zu verbrennen, schreien "Djihad, Djihad!" und sehnen den Terror als Spektakel herbei. Widerlich, geschmacklos, unterirdisch, dumm. Wenn die Partei mit solchen Leuten kein Problem hat, dann kann sie mir gern gestohlen bleiben.
Auf dem Heimweg überall Plakate der Humanwirtschaftspartei, die gesellianisch gegen den Zins agitiert und gern in U-Bahn auf Kabarett macht:
Und zu allem Wahnsinn am Ende des Tages auch noch Michael Holmes'
persönliche Geschichtsschreibung. Er instrumentalisiert 9/11 als seine persönliche Entleuchtung bezüglich der Linken und zügig wird in seinem Abgrenzungspamphlet (seine offenbar bevorzugte Mitteilungsweise) unklar, ob er noch "diese Linken" meint, mit denen sein Text beginnt, oder schon längst "die Linken", über die er sich am Ende heißredet:
...sie hassen den Menschen überhaupt. Sie hassen den Menschen und seinen Freiheitsdurst. Sie hassen Amerikaner und Europäer, sie hassen Afrikaner und Asiaten, sie hassen jeden Menschen, den man nur hassen kann. Wenn sie über tatsächlich oder vermeintlich unterdrückte oder schwache Menschen sprechen, leugnen sie diesen Hass nur vehementer. Das ist alles. Man kann nicht die Kapitalisten und die Herrschenden hassen, aber all die anderen Menschen lieben. Man kann dies einfach deshalb nicht, weil es sie gar nicht gibt, diese sinistren Gestalten, die ihre paranoide Phantasie bevölkern.
Sounds like a case of the Mondays.
(zuerst veröffentlicht auf classless.org)