eine kleine randgeschichte bei
spon brachte meine erinnerungen wieder ins rollen ...
es gibt wahrscheinlich wenige tage in meinem leben, an die ich mich in ihrer gesamtheit so gut erinnern kann. die firma in der ich damals arbeitete lag zu diesem zeitpunkt im würgegriff eines milliardenunternehmens. am 11. september leitete ich in abwesenheit meiner chefs eine sitzung mit banken und rechtsanwälten um das drohende ende eventuell noch verhindern zu können. wir waren praktisch noch in der aufwärmpahse, als eine sekretärin herein kam und mir ins ohr flüsterte, daß ein turm des world trade centers brennen würde. ich verließ wenig später für kurze zeit die besprechung um in einem anderen sitzungsraum den fernseher anzuschalten. wenige augenblicke später kam bereits die meldung, daß auch der zweite turm brennen würde.
ich erinnerte mich an meinen besuch vor nicht mal zwei jahren in diesem wunderschönen und schlichten gebäude. und an eine bestimmte person. in den wc anlagen des
window on the world reichte mir nach dem hände waschen ein etwas bäriger farbiger mann ein handtuch und bot süßigkeiten und zigaretten[!] an. sowas hatte ich bisher noch nicht. ein stoffhandtuch, nur für mich, auf einer halböffentlichen toilette. er war sehr nett und wir wechselten ein paar sätze. wenn ich mich recht entsinne gab ich ihm ein fürstliches trinkgeld, weil ich ihn und die gesamte aktion so ungewöhnlich und sympathisch fand. inhaltlich und optisch so fernab von meiner 'realen' welt.
als ich die brennenden türme türme sah mußte ich sofort an diesen netten freundlichen mann denken. ob er wohl drin steckt, in diesem grauenhaften desaster, daß alles andere als lösbar aussah. ich brach die sitzung ab und versammelte alle im büro anwesenden vor dem fernseher. die informationen verdichteten sich nur langsam, aber jeder der logisch denken kann konnte zu diesem zeitpunkt nur von einem anschlag ausgehen. hinzu kamen irgendwann die meldungen vom pentagon und aus washington. zum ersten mal kam ein leichter weltuntergangsgedanke auf. wer steckt dahinter? es gab gerüchte aus europa. wieviele anschläge es wohl insgesamt gibt? london? paris? und wie werden sich die amerikaner verteidigen? mit einem direktschlag - gegen wen?
als nach dem ersten schreck das logische denken wieder einsetzte kam der für mich schlimmste teil des tages, das eigentliche hilflose entsetzen. da wir fachlich die auswirkungen der flugzeugtreffer auf eine stahlkonstruktion erahnen konnten kamen wir nach kurzer diskussion recht schnell zu der erkenntnis, daß der zwar später - aber wesentlich tiefer - getroffene südturm definitiv einstürzen wird. und zwar relativ schnell. wir gingen jedoch von einem schrägen fall, ähnlich eines baumes aus, der schlimmstenfalls den nordturm mitreissen könnte. die trägheit der masse kann man in so einer situation schon mal falsch einschätzen. abgesehen von allen schrecklichen eindrücken war dieses unendliche ohnmachtsgefühl das schlimmste: im fernsehen live mit anzusehen, wie all die, die so heldenhaft am unglücksort helfen wollten, in den sicheren tod liefen.
ich hatte den ganzen abend tränen in den augen und verfolgte die berichte mit zunehmender wut. wenige stunden später wurde ich aufgrund der verstärkten strategischen luftüberwachung von meiner nato einheit als reservist alarmiert. die amerikaner hatten defcon 3 ausgerufen, die gleiche bereitschaftsstufe wie zur kuba-krise, an der die welt ja bekanntermaßen am rande eines atomkrieges stand. es wirkte alles nicht gerade beruhigend. es gab ein kurzes briefing über die aktuelle situation, dann konnten wir nach einem technischen vorbereitungstag zunächst wieder nach hause. ich glaube, es wäre damals jedem von uns eine ehre gewesen, an irgendeinem awacs bildschirm einen us-bomber dahin zu geleiten, wo all das seinen ursprung hatte. wut ist immer ein sehr schlechter berater. insbesondere in krisenzeiten.
was über die inzwischen fünf vergangenen jahre geblieben ist, ist die erkenntnis, daß wir menschen seltsam in unserer wahrnehmung sind. das "neue" an dem tag war für mich die erstmalige erfahrung den tod live zu beobachten. das ist eindeutig anders als eine zurückliegende nachrichtenmeldung. anders läßt sich nicht erklären, daß wir alle für viele jahre diesen tag in erinnerung behalten werden, aber die jährlich weltweit über eine millionen toten durch verkehrsunfälle mehr oder weniger als normalen kolateralschaden des modernen lebens in kauf nehmen. und vielleicht war der 9.11.2001 genau das. ein kolateralschaden des modernen lebens. verursacht durch menschen die glauben, daß das individuum das ganze bestimmt - und menschen die glauben das ein einziger, ein höheres wesen dies tut.
seit diesem tag bin ich in meinem denken verfassungstreuer und in gewissen lebensbereichen leider auch weniger toleranter den je. denn ich glaube an freiheit. ich glaube an menschen aus 22 nationen die jenseits ihrer religion zusammen
eine idee umsetzen. weil wir doch eigentlich in ein paar tausend jahren etwas gelernt haben sollten.
aber die absurdität der menschheitsgeschichte scheint derzeit perfekt. es endet anscheinend wie es einst begann: der moderne glaubenskrieg lautet wie vor 2000 jahren wieder polytheismus gegen monotheismus ...